Wenn Tiere zu Tode geliebt werden

Berlin – An Karl Lagerfelds Katze kam kaum jemand vorbei, auch nicht in den Nachrufen auf den Modemeister. Ist Lagerfelds innige Liebe zu seiner Birma-Katze Choupette, die er seine Muse nannte, Ausdruck eines wachsenden Trends zur Vermenschlichung von Haustieren? Und ist das schlimm?

Der Berliner Tierpathologe Achim Gruber hat ein Buch über das Phänomen geschrieben.
«Das Kuscheltier-Drama» heißt es. Gruber berichtet darin über Haustiere, die still leiden: unter Herrchen und Frauchen, die sie zu sehr lieben.

Auch Gruber liebt Haustiere. Er ist mit Hund, Aquarium, Vögeln und einer griechischen Landschildkröte groß geworden. Dass er Tierarzt wurde, hat mit diesen Erfahrungen zu tun. Heute hält er Familienhund Benni. Wenn Mieze oder Bello im Bett liegen, hat Gruber damit kein Problem. «Wenn sie geimpft und entwurmt sind», betont er. «Und wenn dem Tier das auch gefällt.» Das ist der springende Punkt bei seinen Thesen zum Kuscheltier-Drama. Kann ein Mensch Bedürfnisse von Heimtieren wahrnehmen – und will er das?

Haustiere sind beliebt. Nach Umfragen der Heimtier-Branche leben rund 34 Millionen in Deutschlands Haushalten, darunter fast 14 Millionen Katzen und 9 Millionen Hunde. 4,7 Milliarden Euro geben Halter nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts pro Jahr allein für Futter und Spielzeug ihrer Lieblinge aus, rund eine Milliarde Euro mehr als vor zehn Jahren.

Gruber ist 52, seit 2004 arbeitet er als Tierpathologe an der Freien Universität Berlin. Er untersucht Proben, wenn Tierärzten kranke Patienten mit Fell oder Federn Rätsel aufgeben. Er obduziert auch Haus- und Zootiere, die plötzlich starben, darunter Eisbär Knut. Mit der Zeit ist Gruber immer nachdenklicher geworden. «Wir machen unsere Haustiere zu Opfern», sagt er heute. «Sie werden so vermenschlicht, dass wir ihnen ihre Natur nehmen.»

Dass sich im Verhältnis zwischen Mensch und Tier etwas verschoben hat, bemerkt auch Lothar Hellfritsch, ehemaliger Präsident des Berufsverbandes Deutscher Psychologen. «Früher waren Haustiere meist zum Schutz da. Wie der Hofhund», sagt er. «Heute sind sie oft ein Spielzeug auf Zeit.» Es gebe dabei eine enorme Bandbreite. Sie reiche bis zur Vermenschlichung.

«Auf jeden Fall wird die Fixierung auf ein Haustier heute als normaler betrachtet als noch vor 20 oder 30 Jahren», urteilt Hellfritsch. Mitursache sei auch eine Promi-Vorbildwirkung. Wer erinnert sich nicht an den exzentrischen Münchener Modedesigner Rudolph Moshammer mit Yorkshire Terrier Daisy auf dem Arm? «Da können Grenzen überschritten werden», ergänzt der Psychologe. «Ein Tier wird ja nicht gefragt, ob es von einem Teller essen oder in einer Louis Vuitton Tasche herumgetragen werden will.»

Tierpathologe Gruber beobachtet Moden beim Tierschutz. «Seit über 100 Jahren protestieren Menschen gegen Versuchstierleid. Vor 40 Jahren ging es um Pelze. Nun gibt es Diskussionen um die Haltung von Nutztieren und Artensterben wie bei den Insekten», sagt er. Für ihn sind alle diese Debatten richtig und wichtig. Ein Tabu sei es aber, darüber zu reden, welche Opfer Haustiere bringen müssten. «Sie sterben an ihrer Menschwerdung. Aber in ein Wohnzimmer bricht niemand ein, um dieses Leid zu filmen.»

Menschwerdung – das heißt für Gruber nicht allein, dass Tiere als Kind- und Partnerersatz dienen und statt Bello und Mieze jetzt Felix und Emma heißen. Er beobachtet, dass Tiere anders gezüchtet werden. «Normalerweise hat ein Hund einen langen Schädel, eine schlanke, große Nase und Augenhöhlen, die schräg nach außen stehen», sagt er. Heute würden die Tiere so gepaart, dass sie menschenähnlicher wirkten: Mit kurzer Schnauze, hoher Stirn und Augen, die flach nach vorn blickten. Und mit einem Fell, das möglichst auffällig ist – ein Hingucker.

Extremformen von Möpsen und Französischen Bulldoggen sind für Gruber solche «Defektzuchten». Die Tiere zahlten einen hohen Preis: Durch zu kleine Nasen bekämen sie bei Belastung zu wenig Luft. Und das vermeintlich hübsche Fell von Merle-Schecken beruhe auf einem Gendefekt, der Hörprobleme oder das Unvermögen zu schwimmen nach sich ziehen könnte. Nacktkatzen habe man das ganze Fell weggezüchtet und ihre menschenähnliche Haut dann für Tattoos entdeckt. «Gefällt das Tattoo nicht mehr, kommt die Katze eben weg», sagt der Wissenschaftler.

Als Tierliebhaber ist ihm das ein Graus. Denn nicht alle Tierkäufer wüssten um die Pein, die aus Zucht resultieren kann. Sie säßen dann bald beim Tierarzt. Oder gleich in der Pathologie. Gruber schüttelt den Kopf, wenn Halter Hund oder Katz vegetarisch ernähren, nur weil sie selbst so leben. Er beschreibt in seinem Buch auch, wie eine Frau den Todeskampf ihrer Bulldogge in ihren Armen als Zuneigung deutete. Das Tier erstickte.

«Wir interpretieren das Verhaltensmuster von Tieren oft falsch, wenn wir es gar nicht kennen», folgert Gruber. Was Menschen in Tierverhalten sähen, sei meist eine Projektion. Und nicht selten ein Spiegel der eigenen Bedürfnisse wie die Suche nach Anerkennung und Liebe. Warum merken Menschen nicht, wenn sie ihr Tier nicht mehr Tier sein lassen? Für Gruber liegt das auch an der Evolution. Der Mensch habe über etliche Jahrtausende gelernt, nonverbale Kommunikation anderer Menschen wahrzunehmen und mitzufühlen, sagt er. Mit Blick auf Tiere habe es dieses Lernen jedoch die längste Zeit nicht gegeben. «Die haben wir gegessen.»

Projektionen kennt Psychologe Hellfritsch aus dem zwischenmenschlichen Bereich. Ein Mensch könne widersprechen. «Ein abhängiges Tier kann sich aber nicht oder nur schlecht abgrenzen», sagt er. Ob es die große Liebe seines Halter erwidere, sei deshalb nicht immer sicher. Auch wenn es für Herrchen und Frauchen so aussehe.

«Ein Haustier kann auch die Suche nach einer unkomplizierten Beziehung widerspiegeln. Diese Gefahr besteht», ergänzt Hellfritsch. Karl Lagerfeld sagte über seine Katze. «Sie ist wie ein menschliches Wesen. Aber das Gute ist, dass sie schweigt, man muss nichts diskutieren.» Die Einschätzung von Choupette ist nicht bekannt.

Fotocredits: Hendrik Schmidt
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