Wenn Stalker sich nicht abfinden
Karlsruhe – Meist bekommt die Öffentlichkeit nichts davon mit. Nur das Opfer selbst und dessen Umfeld kennen die Anrufe, die Nachrichten per Mail, Whatsapp oder SMS, das Auflauern nach der Schule oder der Arbeit oder auf dem Nachhauseweg.
Die Beleidigungen, die Sachbeschädigung, die Handgreiflichkeiten. Psychoterror durch Stalking ist quälend und zermürbend für die, denen nachgestellt wird.
Manchmal endet Stalking auch tödlich. Schlagzeilen machten in diesem Jahr die Bluttat in Eislingen bei Göppingen, als im Oktober ein Mann seiner Frau und deren Freund die Kehle durchschnitt und sich anschließend selbst erschoss. Oder als in Villingendorf bei Rottweil ein Sechsjähriger im September vom eigenen Vater erschossen wurde und auch der neue Partner der Mutter und dessen Cousine starben. In München verurteilte das Landgericht im November einen 46-jährigen Stalker wegen Mordes an seiner Ex-Freundin zu lebenslanger Haft.
Dass
Stalking so blutig eskaliert, ist zwar selten. Auch die extremen Fälle zeigen aber: Die meisten Stalker sind Ex-Partner, in etwa 60 Prozent der Fälle sei das so, erläutert Professor Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Laut Bundeskriminalamt ist Stalking das Delikt mit dem prozentual größten Anteil partnerschaftlicher Gewalt.
Generell gemeinsam sei Stalkern ein hohes Maß an Kränkbarkeit und der Wunsch, Macht über ihr Opfer auszuüben, sagt Dreßing. Die Gefahr, die von stalkenden Ex-Partnern ausgeht, ist dabei besonders groß: Viel intensivere Gefühle seien da im Spiel und das Risiko von Übergriffen durch die Intensität dieser Gefühle besonders hoch, erläutert Wolf Ortiz-Müller, Leiter der Beratungsstelle
«Stop-Stalking» in Berlin.
Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern ging er 2008 einen ungewöhnlichen Weg und begann mit der
Beratung von Tätern; seit 2014 werden auch Opfer beraten. Sein Ansatz war und ist: «Mit denen, die diese Straftat begehen, muss intensiv gearbeitet werden.» Strafverfolgung allein reiche nicht aus, damit Menschen dieses Verhalten aufgeben und nicht rückfällig werden, betont Ortiz-Müller.
Die zweithäufigste Gruppe sind laut Dreßing die gekränkten Stalker, die sich für ein tatsächlich oder vermeintlich erlittenes Unrecht rächen wollten. Bedenklich dabei aus Dreßings Sicht: «Die neue Form des Stalking, bei der Politiker oder anderweitig verantwortliche Personen aus weltanschaulichen Gründen von populistisch gesinnten Tätern verfolgt und attackiert werden.» Nach einem Messerangriff auf den Bürgermeister von Altena in Nordrhein-Westfalen forderte beispielsweise der Deutsche Städte- und Gemeindebund Ende November die Einführung eines Straftatbestandes «Politiker-Stalking».
Einer ZI-Studie aus dem Jahr 2006 zufolge wird mehr als jeder zehnte Deutsche einmal in seinem Leben gestalkt – eine Zahl, an der sich nichts wesentlich geändert hat, sagt Dreßing, Mitverfasser der damaligen Studie. Meist sind Frauen Opfer und Männer Täter. Die Dunkelziffer ist hoch. Trotz des inzwischen hohen öffentlichen Bewusstseins und zahlreicher Beratungsstellen aber sinkt paradoxerweise die Zahl der Strafverfahren von Stalking bundesweit seit Jahren – laut Polizeilicher Kriminalstatistik von rund 29 300 Fällen im Jahr 2008 auf zuletzt 18 700 im vergangenen Jahr.
Das mag zum einen an der Scheu vieler Opfer vor einer Anzeige liegen. «Ganz oft haben sie Schuldgefühle und innere Ambivalenzen. Denn jemandem, den man mal geliebt hat, eine Strafanzeige zu verpassen, ist für viele der Betroffenen nicht leicht», erläutert Ortiz-Müller. «Primär wollen sie ja einfach, dass es aufhört. Sie wollen nicht primär eine Strafe.»
Viele Experten erklären die sinkenden Zahlen aber auch mit der lange unbefriedigenden gesetzlichen Regelung im Nachstellungs-Paragrafen 238 vor dessen Verschärfung. Nur in seltensten Fällen folgte einer Anzeige der Betroffenen eine Anklage und noch seltener eine Verurteilung. «Der Paragraf 238 in der ursprünglichen Form war eine absolut stumpfe Waffe», sagt Dreßing. Seit März hat sich das geändert. Nicht mehr der Gestalkte muss beweisen, dass die Nachstellungen sein Leben kaputtmachen. Sondern das Verhalten des Stalkers steht auf dem Prüfstand.
Zwar ist das aus Sicht von Experten durchaus der richtige Weg. Manche sind dennoch skeptisch. «Der Anspruch an die Beeinträchtigung der Opfer ist weiterhin relativ hoch», sagt etwa Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund (djb). Ein vorübergehender Verzicht auf Aktivitäten, um dem Stalker zu entgehen, zähle nicht unbedingt als «Beeinträchtigung», und müsse vom Opfer möglicherweise weiterhin hingenommen werden. «Es wird sich weisen, wie die Rechtssprechung damit umgeht.» Zahlen, ob seit der Reform des Paragrafen die Zahl der Anzeigen nach oben geht, gibt es noch nicht. «Es ist zu hoffen», sagt Freudenberg.
Die Opferschutzvereinigung
Weißer Ring sieht weiteren Handlungsbedarf. Bundesgeschäftsführering Bianca Biwer fordert, uneinsichtige Stalker, die schon mal gegen Schutzmaßnahmen für das Opfer verstoßen haben und deswegen verurteilt wurden, besser zu überwachen – beispielsweise mit elektronischen Fußfesseln.
Ortiz-Müller will, dass es gar nicht erst soweit kommt. Sein Credo ist, viel früher in die Täter-Opfer-Arbeit einzusteigen und Täter vom Stalking abzubringen, bevor noch Schlimmeres passiert. «Es reicht mir, wenn ein Stalker sein Verhalten ändert», sagt er und erzählt von einem Klienten. «Einer sagte mir: «Wissen Sie, ich denke noch jeden Tag an sie, aber gemacht habe ich nichts.» Dann sagte ich: «Sie dürfen jeden Tag an sie denken, solange Sie nichts mehr machen.»»
Fotocredits: Jens Büttner
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