Strenge Regeln für neue Gentechnik
Luxemburg – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Rechte der Verbraucher bei genetisch veränderten Lebensmitteln gestärkt. Die Industrie und die Bundesregierung sehen aber einen Rückschlag für die Innovationsfähigkeit in Europa. Ein Überblick:
Was genau steht im EuGH-Urteil?
Das EuGH hat entschieden, dass Organismen, die mit sogenannten neuen Mutagenese-Methoden erzeugt wurden, unter die EU-Regeln für «Gentechnisch veränderte Organismen» (GVO) fallen. Sie müssen vor der Zulassung auf ihre Sicherheit geprüft werden. Im Supermarkt müssen Lebensmittel, die mit Hilfe dieser Methoden erzeugt wurden, speziell gekennzeichnet sein. Bislang war unklar, ob diese Vorgaben auch beispielsweise für bestimmte Anwendungen der Genschere Crispr gelten. Denn ältere Mutagenese-Verfahren wie beispielsweise Bestrahlung sind in der EU-Regelung aus dem Jahr 2001 ausgenommen.
Wie begründen die Richter dies?
Sie führen an, dass die Risiken der neuen Mutagenese-Verfahren mit denen der sogenannten Transgenese vergleichbar sein könnten. Bei der Transgenese wird fremde DNA in einen Organismus eingeführt. Diese Verfahren fallen unter die GVO-Regularien. Ziel des Europäischen Gentechnikrechts sei es, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern. Daher gelte die GVO-Richtlinie auch für die neueren Mutagenese-Verfahren.
Was heißt das für Verbraucher?
Umwelt- und Verbraucherschützer hatten befürchtet, das oberste EU-Gericht könnte ermöglichen, dass mit neueren Verfahren veränderte Lebensmittel ungeprüft und ungekennzeichnet in die Supermarktregale gelangen. Dem haben die Richter aber einen Riegel vorgeschoben.
Um was für neue Methoden geht es eigentlich?
Bei der sogenannten gezielten Mutagenese wird beispielsweise mit der Genschere Crispr die DNA gezielt an einer vorherbestimmbaren Stelle geschnitten. Die Zelle repariert daraufhin den DNA-Strang selbst. Dabei kann sich die DNA-Sequenz etwas ändern. Gene können so gezielt verändert oder auch ausgeschaltet werden. Mit dieser Technik können mit vergleichsweise geringem Aufwand beispielsweise Getreidesorten widerstandsfähiger gemacht oder die Zusammensetzung von Nahrungs- und Futterpflanzen optimiert werden. In der EU sind laut der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie noch keine Produkte auf dem Markt, die von dem EuGH-Urteil betroffen sind.
Sind solche Lebensmittel gefährlich?
Das ist nicht klar. Der EuGH musste ein Urteil fällen, weil französische Verbände geklagt hatten. Sie argumentierten, dass gezielte Mutationen in Genen schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen haben könnten. Weil die Folgen nicht absehbar seien, fordern Verbraucher- und Umweltschützer nach dem Vorsorgeprinzip strenge Regeln für diese Verfahren. Gentechnik-Kritiker befürchten außerdem mögliche Schäden für die Umwelt. Gentechnisch veränderte Pflanzen per sé könnten gegenüber anderen einen Vorteil haben und diese verdrängen. Sie könnten ihre Erbanlagen auch mit unabsehbaren Folgen auf andere Gewächse übertragen.
Gibt es hierzulande schon Lebensmittel zu kaufen, die unter die GVO-Regeln fallen – und somit gekennzeichnet sein müssen?
Von den Lebensmittelhandelsketten werden sie laut Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels nicht angeboten. Die überwiegende Mehrheit der Verbraucher lehne sie ab, so der Verband. Allerdings weist das Landwirtschaftsministerium darauf hin, dass es vereinzelt bereits solche Lebensmittel zu kaufen gibt, beispielsweise Süßigkeiten aus den USA oder Soja-Speiseöl für chinesische Gerichte. Sie tragen einen Gentechnik-Hinweis, den man aber leicht übersehen kann, weil er relativ unauffällig in der Zutatenliste stehen darf.
Was muss nicht gekennzeichnet werden?
Lebensmittel von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, müssen nicht gekennzeichnet werden. Dazu gehören Milchprodukte, Fleisch oder auch Eier. Zudem müssen laut
Verbraucherzentrale unbeabsichtigte gentechnische Verunreinigungen bis zu einem Anteil von 0,9 Prozent je Zutat nicht deklariert werden.
Auf was kann man achten, um Gentechnik weitgehend zu vermeiden?
Lebensmittel, die mit «bio» oder «öko» gekennzeichnet sind, dürfen laut Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft nicht von Pflanzen oder Tieren stammen, die unter die GVO-Regeln fallen. Auch dürfen Milch, Eier oder Fleisch nicht von Tieren stammen, die GVO-Futter bekommen. Das gleiche gilt für Lebensmittel mit dem Siegel «Ohne Gentechnik» vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). Die 0,9-Prozent-Ausnahme gilt aber in beiden Fällen trotzdem.
Bedeutet das EuGH-Urteil das Aus für die neuen Methoden?
Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) sieht das Urteil als Rückschritt an. Es gehe dabei nicht nur um Deutschland, sondern um Europa, sagt BDP-Vorsitzende Stephanie Franck. Wenn der Markt in Europa solche Produkte ablehne, gebe es auch für die neuen Züchtungsmethoden wenig Perspektive. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte, dass das Urteil die Möglichkeiten verbaue, mit Hilfe von Pflanzenzüchtung auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren. «Die derzeitige Dürre zeigt uns exemplarisch, dass wir zukünftig beispielsweise trockenheitstolerantere Sorten brauchen.»
Fotocredits: Gregor Fischer
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