Filme als Therapie – Komödien und Dramen gegen die Sucht
Wien – Filme lösen Gefühle aus, sie bringen einen zum Weinen oder zum Lachen. Sie lassen die Zuschauer in einer bestimmten Stimmung zurück, können niederschmettern, aber auch aufheitern und Mut machen. Dieses Potenzial hat auch die Psychotherapie erkannt.
Jeden Mittwoch schaut der Wiener Therapeut
Martin Poltrum mit 30 bis 50 Patienten einen Film. Die verpflichtende Sitzung ist neben anderen Einheiten Teil ihrer Suchttherapie. Danach folgt eine gemeinsame Reflexion. «Dahinter steckt die einfache Frage, wie man es schafft, die Seelen der Patienten zu öffnen», erklärt der 46 Jahre alte Filmtherapeut. «Wenn sie vom Film, von den tollen Bildern und der Musik gerührt sind, fällt es leichter, über Persönliches zu sprechen.»
Seit 2009 setzt er regelmäßig Komödien und Dramen ein, um Suchtkranke zu behandeln. Am Wiener Anton-Proksch-Institut, mit 2000 stationär behandelten Patienten pro Jahr eine der größten Suchtkliniken Europas, sind es vor allem Alkohol-, Medikamenten- und Spielsüchtige. Die Filmtherapie sei jedoch für alle geeignet.
Auch die Bandbreite der Filme ist sehr groß. Komödien wie «Und täglich grüßt das Murmeltier» (1993) nutzt Poltrum genauso wie das Drama «American Beauty» (1999). Eine Zeit lang hat der Psychotherapeut besonders gerne Liebesfilme gezeigt. Das ist ein Thema, das die Menschen immer interessiert, sagt er. Bei vielen Patienten kämen mit der Sucht auch Beziehungsprobleme oder sogar eine Trennung. «Da kann es guttun, daran erinnert zu werden, wie schön die Liebe sein kann.»
Doch gerade bei typischen Hollywood-Happy-Ends seien manche Patienten skeptisch. «Mit dem Kitsch können nicht alle etwas anfangen», sagt Poltrum. «Aber andere wollen nicht auch noch im Film Schatten sehen. Sie wollen eine positive Botschaft.»
Die hat zum Beispiel «Eat Pray Love» (2010). Darin geht Liz Gilbert, gespielt von Julia Roberts, auf eine Selbstfindungsreise. «Der Film zeigt, wie sich jemand im Leben verliert und wiederfindet. Bei Suchtkranken ist das ein zentrales Thema», erklärt Poltrum. Deshalb falle es den Patienten leicht, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren. Aber sie schaffen es auch, den Film aufs eigene Leben zu übertragen. Poltrum spinnt die Geschichte weiter. Er fragt die Patienten, welche Ideen sie hätten, wie Liz ihr Leben neu gestalten könne. «Sie sind mit der Realität konfrontiert und übertragen die Frage auf ihr eigenes Leben.»
Poltrum ist vom Erfolg der Therapie überzeugt. An den Reaktionen der Patienten merke er, dass sie wirke. Wissenschaftlich beweisen lässt sich das jedoch kaum, da jeder unterschiedlich auf Filme reagiert. Das ist laut Poltrum auch der Grund, weshalb die Filmtherapie im deutschsprachigen Raum wenig verbreitet ist. Neben ihm arbeitet mit Otto Teischel noch ein weiterer österreichischer Psychotherapeut mit Filmen. Teischel hat sogar mehrere Bücher zum Thema geschrieben. In Deutschland ist die Filmtherapie wenig bekannt, die Bundespsychotherapeutenkammer spricht von «keiner gängigen Technik». In den USA kommt sie öfter zum Einsatz. In Boston wurden bereits 1912 Stummfilme in einer Psychiatrie gezeigt.
Bei der Filmtherapie können jedoch auch unerwünschte Effekte eintreten. «Alles, was wirkt, hat auch eine Nebenwirkung», sagt Poltrum. Deshalb schneidet er besonders brutale Szenen aus den Filmen heraus. Es sei schon vorgekommen, dass Liebesfilme die erotischen Gefühle der Patienten geweckt hätten. «Die kanalisieren sie auf Mitpatienten, aber solche Beziehungen halten meist nicht lange.»
Nicht nur dann kann es wichtig sein, die Stimmung zu heben. Suchtkranke haben nicht nur mit dem Entzug zu kämpfen, sondern auch mit anderen Sorgen, wie Schulden oder Arbeitslosigkeit. Poltrum greift dann auf Filme mit Hoffnungs-Botschaft zurück. «Die Leute sehen, dass es dem Filmheld genauso dreckig geht wie ihnen selbst, aber er kommt aus der Krise und wächst sogar über sich hinaus.»
Fotocredits: Fabian Schäfer
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