Wie lässt sich die Zahl der Organspenden erhöhen?
Berlin – Für mehr als 9000 Menschen in Deutschland geht es beim Warten um Leben und Tod. Sie sind dringend auf eine Organspende angewiesen, weil ihr Körper nicht mehr hundertprozentig funktioniert.
Alljährlich verschlechtert sich der Gesundheitszustand bei über 1000 der Patienten auf den Wartelisten so sehr, dass entweder keine Transplantation mehr möglich ist – oder sie sterben sogar. Die großen Skandale um manipulierte Wartelisten sind schon einige Jahre her, die Einstellung der Deutschen ist laut Umfragen so positiv wie nie. Nur: Es mangelt an geeigneten Spendern.
Umgang mit Patientenverfügung schulen
Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Organspender leicht von 955 auf 932 zurück. «Statistisch gesehen sind das Schwankungen, keine große Änderung», sagt Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der
Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Wichtig sei, dass der deutliche Anstieg im Jahr 2018 kein Ausreißer gewesen sei. Die Zahl der gespendeten Organe sank 2019 von 3113 auf 2995. Das waren nach vorläufigen Angaben von Montag (13. Januar) 1524 Nieren, 726 Lebern, 329 Lungen, 324 Herzen, 87 Bauchspeicheldrüsen sowie 5 Dünndärme. Jeder Spender hat im Schnitt mehr als drei Schwerkranken eine neue Lebenschance geschenkt.
Die Politik hat die Problematik auf dem Schirm. Im abgelaufenen Jahr wurde das Gesetz geändert: So bekamen Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern einen höheren Stellenwert, ihre Arbeit wird besser vergütet. Schulungen etwa zum Umgang mit Patientenverfügungen und eine bessere Analyse der Todesfälle in Kliniken sollen ebenfalls dazu beitragen, dass die Zahl der Organspenden steigt. Erstmals aufgenommen wurde darüber hinaus die Betreuung der Angehörigen – eine Wertschätzung, die aus Rahmels Sicht nicht zu unterschätzen ist.
Dass das alles helfen kann, da sind sich alle Experten einig. Wie sehr es helfen wird, bleibt ebenso abzuwarten wie das Tempo, in dem die Verbesserungen eintreten. Die DSO verbuchte in den vergangenen Monaten zumindest schon mal mehr Anfragen der Krankenhäuser.
Abstimmung über Widerspruchslösung
Viel versprechen sich die meisten von einer Abstimmung, die an diesem Donnerstag (16. Januar) im Bundestag ansteht: Dann geht es auch um die sogenannte Widerspruchslösung. Zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe liegen vor: Eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schlägt eine «doppelte Widerspruchslösung» vor. Demnach sollen automatisch alle Bürger als Organspender gelten. Man soll dazu aber später Nein sagen können, ansonsten wäre auch noch bei Angehörigen nachzufragen. Dies lehnt eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock ab. Sie schlägt vor, die Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema anzusprechen.
Rahmel sagt, die Widerspruchslösung würde dazu führen, dass sich jeder mit dem Thema auseinandersetzen müsse. «Mehr als 40 Prozent der ablehnenden Entscheidungen werden heute von
Angehörigen getroffen, die gar nicht wissen, was der Verstorbene wollte.» Allerdings warnt er auch: «Die Widerspruchslösung ist nur ein Baustein. Dadurch werden sich nicht von einem auf den anderen Tag die Zahlen verdoppeln.»
Bisher sind Organ-Entnahmen nur bei einem ausdrücklichen Ja zulässig. Philosoph Dieter Birnbacher, Mitglied der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, meint, die Quote an Verweigerungen der Angehörigen hänge mit den jeweiligen Einstellungen in den Ländern zusammen. «In Deutschland herrscht in Bezug auf die High-Tech-Medizin immer noch eine Misstrauenskultur», so Birnbacher. «Es wäre insofern gut, wenn sich mehr potenzielle Spender zu Lebzeiten äußern würden.»
Ethische Herausforderungen
Ein zweiter Punkt ist wichtig: Der Tod des Menschen muss durch Nachweis des unwiderrufbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms zweifelsfrei feststehen. Zwei Ärzte prüfen das unabhängig voneinander. Beispielsweise ist in Spanien die Organspende nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand möglich, in Deutschland aber nicht erlaubt. «Das ist ein relativ dickes Brett und hat ganz eigene ethische Herausforderungen», sagt Rahmel dazu.
Ist ein passender Empfänger gefunden, kommt es auf Zeit an: «Einige Organe lassen sich nur für kurze Zeit konservieren, ein Herz beispielsweise nur für vier Stunden», heißt es bei der DSO. Bei einer Niere könnten mehr als 20 Stunden bis zur Transplantation vergehen.
Rund 1300 sogenannte Entnahmekrankenhäuser gibt es in Deutschland. Birnbacher sieht auch hier ein Problem, weil die große Zahl dazu führe, dass zu wenige Transplantationen pro Intensivstation anfielen und zu wenig Expertise bestehe. Eine Konzentration und Spezialisierung, wie sie etwa in Dänemark verwirklicht worden sei, sei deshalb wünschenswert. «Dem stehen allerdings lokale Interessen entgegen», so Birnbacher. «Ich halte die Konzentration allerdings für unausweichlich, nicht nur im Patienteninteresse, sondern auch wegen der Probleme der Finanzierbarkeit des bestehenden Systems.»
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verweist auf eine 2018 veröffentlichte Studie für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie zeige, dass die Entnahmekrankenhäuser nahezu alle potenziellen Organspender identifizieren. Allerdings stellten die Studienmacher unter anderem auch fest, dass beispielsweise nicht in allen Fällen gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer eine Diagnostik zum Hirnausfall vorgenommen wurde. Die
DKG ist aber überzeugt, dass mit den Änderungen beim Transplantationsgesetz vom Frühjahr 2019 wichtige Stellschrauben angepasst wurden, um die Organspende in Deutschland weiter zu stärken.
Bürger sehen Organspenden generell positiv
Vor der Bundestags-Entscheidung zur Zukunft von Organspenden in Deutschland ist die grundsätzliche Zustimmung laut einer neuen Umfrage weiterhin hoch. 84 Prozent der Bundesbürger stehen Organspenden generell eher positiv gegenüber, wie die Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse ergab. Am höchsten ist diese prinzipielle Zustimmung laut Umfrage-Ergebnissen, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, bei jungen Leuten von 18 bis 29 Jahren mit 93 Prozent – am geringsten bei 50- bis 69-Jährigen mit 79 Prozent.
Einen ausgefüllten Organspendeausweis haben demnach insgesamt 40 Prozent der Befragten. Vorn liegen erneut Jüngere bis 29 Jahre mit 51 Prozent. Bei Älteren ab 70 Jahre sind es 25 Prozent.
Diese Regeln gelten derzeit für die Organspende
– Der Ausweis: Wer Organspender sein will, braucht den Organspendeausweis. Diesen gibt es in Apotheken und Arztpraxen, über das Infotelefon Organspende oder im Netz, unter anderem bei der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA). Die Entscheidung für oder gegen eine Spende wird nirgendwo registriert. Wer seine Meinung ändert, muss nur den Ausweis vernichten.
– Die Spender: Organe spenden kann im Prinzip jeder, eine Altersgrenze gibt es nicht. Bis zum 14. Lebensjahr entscheiden Eltern für ihre Kinder. Ausschlussgründe sind ansonsten nur einige wenige Infektionen und Erkrankungen. Hinweise auf chronische Krankheiten sollten Organspender auf dem Ausweis bei «Anmerkungen» eintragen.
– Die Angehörigen: Gibt es keine eindeutig und rechtssicher dokumentierte Entscheidung eines potenziellen Organspenders, müssen die Angehörigen entscheiden. Auch deshalb ist ein Ausweis sinnvoll. Der Ausweis lässt sich übrigens auch dazu nutzen, einer Spende ausdrücklich zu widersprechen.
– Die Patientenverfügung: Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende lässt sich auch in einer Patientenverfügung festhalten. Wichtig dabei: Die Formulierung darf dem Ausweis nicht widersprechen. Und die Verfügung muss so gestaltet sein, dass die Organentnahme möglich ist – das macht in der Praxis oft Probleme. Vorlagen für rechtssichere Formulierungen gibt es zum Beispiel bei der
BzGA.
Fotocredits: Daniel Maurer
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