So viel Vitamin D braucht der Mensch
Gießen – Sind Sie häufig müde? Arbeiten Sie in geschlossenen Räumen? Verwenden Sie Sonnencreme? Dann sind Sie womöglich unterversorgt. Das jedenfalls suggeriert ein Selbsttest auf der Internetseite eines Pharmakonzerns.
Das Schöne ist: Der vermeintliche Mangel lässt sich ganz leicht beheben – mit dem frei verkäuflichen Präparat, das das Unternehmen anbietet. Es geht um Vitamin D.
Fest steht: Ein echter Vitamin-D-Mangel ist tatsächlich schädlich für die Gesundheit. Davon kann bei den meisten Menschen in Deutschland aber nicht die Rede sein.
Vitamin D ist die Vorstufe eines lebensnotwendigen Hormons, erklärt Prof. Helmut Schatz aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Im Unterschied zu anderen Vitaminen nimmt der Mensch nur einen kleinen Teil des Vitamin D über die Nahrung auf. 80 bis 90 Prozent bildet der Körper in der Haut selbst, mithilfe von Sonnenlicht.
Nun ist Deutschland nicht gerade sonnenverwöhnt. Immer mehr Menschen glauben daher offenbar, dass sie unter einem Vitamin-D-Mangel leiden. Aber was ist eigentlich ein Mangel? «Davon sprechen wir erst, wenn Menschen Symptome haben, also krank sind», erklärt Birgit Niemann vom
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Bei Vitamin D sei das nicht der Fall. «Wir teilen die Ansicht, dass es in Deutschland einen flächendeckenden Vitamin-D-Mangel gebe, ausdrücklich nicht.»
Das BfR interessiert aber nicht nur, ob es der Bevölkerung an etwas mangelt – das Institut will auch wissen, wie optimal die Menschen versorgt sind. «Und da gibt es bei vielen Vitaminen noch Luft nach oben», sagt Niemann. Vitamin D gehöre auch dazu.
Dem
Robert Koch-Institut zufolge erreicht gut die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland die als optimal angesehene Serumkonzentration nicht. Haben die nun alle einen Mangel? «Nein», sagt Niemann. «Es könnte aber sein, dass sie ein Risiko für eine Unterversorgung haben.» Denn das Risiko der Unterversorgung besteht immer, wenn die Serumkonzentration unter dem Optimalwert liegt. Von einem Mangel sprechen Mediziner aber erst, wenn der Wert noch viel tiefer liegt. Beides komme relativ selten vor, sagt Schatz.
Ein höheres Risiko haben Säuglinge, die daher flächendeckend Vitamin D bekommen, und auch ein paar andere: Menschen zum Beispiel, die gar nicht oder nur verschleiert das Haus verlassen, Senioren über 65 Jahren und Menschen mit dunkler Hautfarbe. Bei diesen Gruppen kommt eine prophylaktische Gabe von Vitamin D in Betracht, sagt Schatz.
Nun klingt aber auch Unterversorgung nicht wie etwas, das man gern hätte. Doch was bedeutet das eigentlich konkret? «Das ist ein Kern des Problems», sagt Schatz: «Wir wissen es nicht.» Und solange es keine gesicherten Erkenntnisse gibt, sieht die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie abseits der genannten Gruppen bei gesunden Erwachsenen unter 65 Jahren meistens keinen Grund, Vitamin-D-Kapseln zu schlucken. «Für die Pharmakonzerne ist das natürlich ein gutes Geschäft. Aber wir behandeln keine Blutwerte, sondern Menschen mit Symptomen», sagt Schatz.
Die für ihn und die Fachgesellschaft entscheidende Frage: Werden die Menschen tatsächlich seltener krank, wenn sie Vitamin D schlucken? Neben der DGE kommt auch die
Stiftung Warentest zu dem Schluss, dass das bisher nicht eindeutig nachgewiesen ist. Im März 2018 haben die Tester die aktuelle Studienlage unter die Lupe genommen. Sie schreiben: «Gesunden, aktiven Erwachsenen bringen Vitamin-D-Pillen nichts.»
Wer trotzdem meint, dass er ohne Nahrungsergänzungsmittel nicht über die Runden kommt, könne auf eigene Kosten solche Pillen schlucken, sagt Schatz. Dosierungen von 800 bis 1000 Internationalen Einheiten (I.E.) schaden dem Körper zumindest nicht. Nimmt jemand ohne medizinischen Grund mehr als 4000 I.E. zu sich, kann aber zum Beispiel die Niere leiden.
Und dann ist da ja noch der natürliche Weg, Vitamin D zu tanken: die Sonne. Wer zu einer optimalen Versorgung seines Körpers beitragen möchte, sollte täglich vor die Tür gehen. «Sie müssen dafür nicht den halben Tag in der Sonne liegen», sagt Niemann. «25 Minuten täglich genügen.» Dabei sollte rund ein Drittel des Körpers der Sonne ausgesetzt werden.
Fotocredits: Christin Klose,Andrea Warnecke,Volker Daum
(dpa/tmn)
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