Mit Baby im Seminar: Was Kinderkriegen im Studium bedeutet

Potsdam – Als Anneke Siedke Ende 2014 von ihrer Schwangerschaft erfährt, studiert sie im dritten Fachsemester Geschichte und Deutsch auf Gymnasiallehramt in Kiel. Im Studium zu pausieren oder es gar abzubrechen, kommt für die damals 21-Jährige nicht infrage.

Der Zeitpunkt war bewusst gewählt, wie Siedke heute erzählt: «Für meinen Mann und mich schien das Studium ideal, da wir als Studenten flexibel sind.» Doch schon kurz nach der Geburt stößt sie an die Grenzen ihrer Flexibilität, da sie in etlichen Vorlesungen und Seminaren Anwesenheitspflicht hat. «Es lag im Ermessen des Dozenten, ob ich fehlen durfte oder nicht.» Es gibt keine einheitliche Lösung, weshalb sie immer wieder neu diskutieren und verhandeln muss, manchmal ohne Erfolg. Da die Familie auf ihr Bafög angewiesen ist, ist ein Urlaubssemester nicht möglich. Und so kommt es, dass die junge Mutter ein paar Wochen nach der Entbindung wieder im Hörsaal sitzen muss. Ein großer Nachteil vom Kinderkriegen während des Studiums, findet Siedke rückblickend.

Angelika I. Müller vom Familienzentrum der Universität Oldenburg sieht das ähnlich. Sie berät regelmäßig Studierende, die schwanger sind, oder schon Kinder haben. Es komme häufiger vor, dass Studenten Seminare oder Prüfungen verpassen – etwa, weil das Kind krank ist oder sie keine Betreuungsperson haben. Das reformierte Mutterschutzgesetz will einen Teil dieser Probleme zumindest teilweise beheben. Denn ab Januar 2018 haben Studenten das Recht auf Mutterschutz und können während dieser Zeit für verpflichtende Veranstaltungen, Prüfungen oder Praktika Ausnahmen beantragen, ohne deswegen Nachteile zu erleiden.

Was aber bleibt, so Müller, seien die Geldsorgen, die Kind und Studium häufig mit sich bringen. «Immer mehr Studenten müssen ihr Studium mit- oder selbst finanzieren. Kind und Nebenjob zu meistern, ist nicht so leicht.» Wer dagegen erst später im Berufsleben Kinder bekommt, hat dafür in der Regel mehr Geld zur Verfügung.

Auf der anderen Seite kann es beim Berufseinstieg von Vorteil sein, wenn man die Familienplanung bereits abgeschlossen hat. Uta Ossmann ist Expertin für Stressmanagement und unterstützt in ihrer Praxis Eltern dabei, Beruf und Familie zu meistern. Studium und gleichzeitige Familienplanung erfordere ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Kreativität – Eigenschaften, die junge Eltern im Berufsleben gut nutzen können. «Sie sind es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen, flexibel zu reagieren und kommen besser mit einer komplexen Arbeitswelt zurecht. Sie können besser mit stressigen Situationen umgehen», sagt Ossmann.

Sind die Kinder schon da, muss man im Beruf nicht mehr pausieren. Und das sei ein klarer Vorteil – vor allem für Frauen, die nach der Kinderpause häufig in Teilzeit statt in Vollzeit wieder einsteigen.

Auch Silke Mekat berät rund um das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Neben den Vorteilen sieht sie auch Nachteile für junge Familien beim Einstieg in den Job. Manche Chefs würden eher Bewerber ohne Kinder einstellen – weil sie ihnen mehr Leistungskraft und Zeit zuschreiben. Dabei belegen etliche Untersuchungen, dass Mütter sehr viel effizienter arbeiten. Männer hingegen haben mit diesem Vorurteil seltener zu kämpfen, da diese meist weniger in die Kinderbetreuung eingebunden sind, sagt Mekat.

Siedke studiert mittlerweile Germanistik im Master in Potsdam. Anwesenheitspflicht hat sie zwar keine mehr, dafür fehlt der Kitaplatz. Sie und ihr Mann wollen die Kinderplanung abgeschlossen haben, wenn sie in den Beruf einsteigen. Ihren Alltag organisiert sich das Paar so, dass jeder zwei bis drei Stunden für sein Studium hat. Abends arbeiten sie Seminare nach, schreiben Hausarbeiten und bereiten Referate vor.

Eine solche Flexibilität sei im Berufsleben schwerer zu haben, ist sich Siedke sicher. «Unsere Situation erfordert viel Organisationsaufwand, und sicherlich müssen wir auch zurückstecken, aber keiner von uns musste seinen Karriereweg unterbrechen, sondern nur verlängern.» Trotz aller Schwierigkeiten sei geplant, auch das zweite Kind während des Studiums zu bekommen. «Denn wenn ich dann ins Berufsleben starte, sind meine Kinder aus dem Gröbsten raus.»

Fotocredits: Half Point,Anneke Siedke,Studioline Photography München,Manuel Geiger
(dpa/tmn)

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(dpa)